Veteranentreffen 2014

Stumpfsinnig stierte ich in mein Bierglas und wusste, dass alles immer beschissener geworden war. Die alte Runde war immer kleiner geworden, viele kamen nicht mehr oder waren bereits gestorben. Ich war mit Abstand der älteste am Tisch, und wahrscheinlich auch der besoffenste. Was war nur aus unserem schönen Donautal geworden, schoss es mir durch den Kopf. Verbote, nichts als Verbote, und Exzesse ohne Ende.
Nachdem Neuerschließungen kaum mehr möglich waren, hatte der Drang für Höchstleistungen skurrile Züge angenommen. Von den Sportkletterern wurden nur noch solche Bühlerhaken eingehängt, die im Falle eines Sturzes verhinderten, dass der Kletterer auf dem Boden aufschlug. Diese Bühler hatten eine blaue Farbe, die Tour war demnach „blaupunkt“ bezwungen worden, die Verfechter dieser Richtung nannten sich „die Blauen.“
Nach verschiedenen tödlichen Unfällen waren Alleingänge verboten worden, die Strafandrohung war dieselbe, wie beim Begehen gesperrter Routen.
Es hatte sich nach dem Vorbild der Al Fatah der Palästinenser eine Gruppe gebildet, welche sich tarnfarbene Anzüge zugelegt hatten und ihr Gesicht verhüllten, genau so, wie es die militanten Terroristen machten.
Alle sahen gleich aus und nachdem der Ranger einige Male schwer verprügelt worden war und die Schuldigen nicht identifiziert werden konnten, erwog das Landratsamt, ein Vermummungsverbot auszusprechen. Die Kletterer hatten sich halb tot gelacht, wer sollte ihnen etwas anhaben, wenn man sie nicht erkennen konnte.
Ein findiger Chemiker hatte einen extrem, hautfreundlichen Klebstoff entwickelt, den die Freaks begeistert annahmen, der Extremkletterer trug nun, statt des Magnesiabeutels zwei Beutel, einen für die zäh viskose Basisflüssigkeit, den anderen für das Härterpulver. Der Vorteil dabei war, dass sich nach kurzem die klebrige Schmiere in Gas auflöste, der Nachteil, dass es bestialisch stank.
Immerhin konnte mit dieser Klebetechnik der maximal erreichbare Schwierigkeitsgrad um 2 Grade gesteigert werden.
Mir gegenüber saß ein Mittvierziger, der junge Schnösel sah aus, als wolle er Streit.
Ich unterbrach mein Grübeln, bestellte ein neues Bier und fixierte den Typen.
„Ich glaube, du solltest langsam zahlen, das Altersheim macht sicherlich bald zu,“ stieß der Fiesling hervor und ich überlegte, ob der vor mir stehende Aschbecher wohl groß genug sei, um ihn dem Typen in die Fresse zu hauen.
„Leck mich am Arsch und lass mir meine Ruhe,“ murmelte ich und widmete mich dem neu gezapften Bier.
„OK, so war´s ja nicht gemeint“ knurrte der andere, „ich hatte allerdings das Gefühl, du seiest besoffen und suchst Streit“.
„Ich will keinen Händel, ich habe nur darüber nachgedacht, was aus unserem schönen Donautal für eine Megascheiße geworden ist.“
Plötzlich war der andere interessiert und als er erfuhr, wann ich zum ersten Mal ein Seil in Händen hatte, wollte er alles über die alten Zeiten erfahren. Wir saßen so lange, bis uns der Wirt rausschmiss und als ich ihm, schon vor der Kneipe stehend, empfahl, auch mal so etwas, wie das Veteranentreffen aufzuziehen, meinte er, das sei unmöglich, so etwas wie das Veteranentreffen könne man nicht kopieren.
Da war ich allerdings anderer Meinung.