Atlantik 2011

Mit Star Clippers über den Atlantik,

10. April 04:00 Uhr.
Mein 74. Geburtstag. Der Jetlag hat mich voll im Griff – ich kann nicht schlafen..
Am 8. April war ich mit der Bundesbahn nach Stuttgart gefahren und hatte im Hotel Mercure übernachtet, um anderntags schon um 06:00 auf zu stehen. Die Zeiten waren exakt eingeplant, um 07:30 Uhr sollte der Flieger starten, bereits um 07:00 Uhr würde der Gate geschlossen sein. Alles klappte exakt, meine Bordkarte hatte ich zwei Tage vor Abflug vom PC herunter geladen und ausgedruckt. Mein Koffer hatte exakt 20 Kilo. Nach zehn minütiger Startverschiebung brachte mich ein ruhiger Flug nach Paris, wo eineinhalb Stunden später der achtstündige Transatlantikflug begann. Meinen Fensterplatz konnte ich gegen einen Platz im Flur tauschen, so konnte ich zumindest mein problematische linkes Bein ausstrecken. Beim Buchen der Reise wollte ich für diesen langen Flug in der Business Class reisen, diese war jedoch ausgebucht. Auch diese nahezu endlosen acht Stunden gingen vorüber, Philippsburg auf der Karibikinsel Sint Maarten war erreicht. Die langweilige Prozedur der Immigration begann, wenigstens war mein hellgrün leuchtender Schalenkoffer auf dem Gepäckband zu sehen. Eine Sorge weniger. Der Bustransfer war bald abgewickelt und da lag sie nun am Kai, wunderschön anzusehen, die Dreimast-Barkentine „Star Clippers“, mein Zuhause für die nächsten drei Wochen auf der Seereise nach Lissabon mit einem Stop auf San Miguel, der Hauptinsel der Azoren. Nach einem Willkommensdrink wurde ich zu meiner Kabine geführt, ich hatte die 120 gebucht, eine Außenkabine auf der Steuerbord Seite, direkt über der Wasserlinie.. Wenig später war der Koffer ausgepackt und alles verstaut, so ging ich an Deck und konnte die vielen Bekannten der Reise vom letzten November begrüßen. Ein kaltes Bier war fällig und ich machte eine Runde ums Schiff. Achtern, direkt vor dem Swimming Pool auf der Backbordseite sah ich meine „alte“ Kabine vom letzten Jahr, ich spähte durch das Fenster der Tür, sie machte einen unbewohnten Eindruck. Da schoss es mir durch den Kopf: `Du hast durch die nicht buchbare Business Class viel Geld gespart, frag einfach nach, ob du nicht umziehen kannst`. Ich ging zum Zahlmeister und tatsächlich, die große Doppelkabine war noch frei. Eine halbe Stunde später war der Umzug vollzogen, ich hatte meine „alte“ Kabine wieder. Ich begoss das Ereignis mit einem weiteren Bier, dann genoss ich es, mir in meiner Whirlpool Badewanne den Schweiß vom Körper zu waschen, es war ein Hochgenuss. Um 19:00 Uhr wurde zum Dinner geläutet, ein perfektes Mahl verwöhnte den Gaumen. Interessante Leute saßen am Tisch, vornehmlich Australier. Zu meiner Linken der Chief Engeneer aus Odessa, der zu Zeiten der Sowjetunion als Öler auf einem russischen U – Boot gefahren war. Die Australier waren eine reiselustige Gesellschaft, sie erzählten von den Galapagos, von Ushuaia und Port Williams in Patagonien, von Grönland und der Antarktis, da hatte ich ja noch einiges vor. Um 20:30 Uhr legte „Star Clippers“ ohne Schlepper und ohne Lotsenhilfe ab, die große Reise hatte begonnen.
Nachdem ich nun 19 Stunden nicht geschlafen hatte, hoffte ich durch schlafen zu können, doch weit gefehlt, um 03:30 Uhr war ich hellwach, so schnappte ich mir meinen Laptop, um das bisher Erlebte „zu Papier“ zu bringen. Und jetzt ist es 04:45 Uhr, ich werde mir noch mein Hörbuch aus dem iPhone zu Gemüte führen um dann auf eine letzte Stunde Schlaf zu hoffen. Doch an Schlaf war nicht zu denken, der Jetlag hatte mich voll im Griff. So erlebte ich auf der Brücke den Sonnenaufgang, trank einige Tassen Kaffee, um dann um 08:00 Uhr ein reichhaltiges Frühstück ein zu nehmen. Anschließend ging ich in die Bord eigene Bibliothek und holte mir ein Buch. Mit einer gewissen Befriedigung stellte ich fest, dass der von mir verfasste Krimi „Geldtransfer, oder wie klaut man zehn Millionen Euro“ einem Leser wohl so gut gefallen hatte, dass er es gar nicht mehr zurück brachte. Der Lunch um zwölf Uhr war wieder ein Gedicht, ich musste aufpassen, dass ich in Lissabon nicht neue Hosen kaufen musste. Von Klaus, dem Schiffs Manager erhielt ich die Passagierliste: An Bord sind 15 Deutsche, 15 US Amerikaner, 5 Briten, je 3 Kanadier, Holländer und Australier, sowie 1 Neuseeländer und ein Schweizer. 72 Besatzungsmitglieder aus aller Herren Länder sorgen für die vielseitigen Bedürfnisse ihrer Gäste. Mit Lesen vertrödelte ich den Nachmittag und beim abendlichen Dinner bekämpfte ich den Jetlag mit einer vorzüglichen Flasche „Beaujolais Village.“ Die Therapie hatte gewirkt, ich schlief bis 07:30 Uhr, um ausgeruht und entspannt zum Frühstück zu erscheinen. Um Eier mit Speck machte ich einen großen Bogen und begnügte mich mit Haferflocken und Müsli. Am Vormittag gab es zwei interessante Vorträge über segelnde Großschiffe und Wetterkunde. Mitunter schüttete es wie aus Kübeln, dann schien wieder die Sonne und trocknete das nass geregnete Teakdeck. Das Mittagessen war wieder große Klasse. Das “mast climbing“ war verschoben worden, da im Bereich der Radarantenne Öl ausgetreten war.
Beim Vortrag am Nachmittag über Diamanten war ich der einzige Interessent, warum, weiß kein Mensch. Der Wind hatte zwischenzeitlich aufgefrischt und erreichte 25 Knoten, auch der Seegang hatte zugenommen. Die Nacht war angenehm, ich konnte nahezu durch schlafen. Anderntags war der Terminkalender voll, es begann im Kartenhaus mit dem „arbeiten mit der Seekarte“, ich war erstaunt, wie viel ich zwischenzeitlich vergessen hatte, also war die Auffrischung dringendst vonnöten. Direkt anschließend daran der hochinteressante Vortrag von Anne Paul über „gemstones“ diesmal über Perlen. Die Schulung „Knoten“ war nahezu beendet, doch da hatte ich keinen Nachholbedarf. Am Abend folgte ein Film über die alten Windjammer. Wieder war das Dinner eine Wucht, ich war nicht der einzige, der langsam Sorgen mit der Hosenweite bekam. Der Wind frischte weiter auf, auch nahm der Seegang, wie zu erwarten stark zu. Trotzdem hatte ich bestens geschlafen und war wieder zeitig auf den Beinen. Um 19:00 Uhr war „mast climbing“. Bedingt durch Seegang und Wind war der Andrang nicht sonderlich groß, ich ließ es mir jedoch nicht nehmen, wieder hoch zu steigen, ich hatte es nicht bereut. Am Nachmittag hielt Anne Paul den nächsten Vortrag, diesmal über Perlmutt. Am Abend dann das Referat von Anthony Paul über „AFPAK“, also über die Probleme Afghanistan und Pakistan. Tony war lange Jahre Auslandskorrespondent in diesen Ländern gewesen und gilt als anerkannter Kenner dieser Region. Wir saßen noch lange zusammen an der Bar und sprachen über die Probleme dieser Welt. Der Seegang hatte stark nachgelassen, die Windgeschwindigkeit ebenfalls, am Morgen wehte es noch mit 15 Knoten, bedingt durch eine Winddrehung konnten wir bei 30° Kurs die Azoren wieder anliegen, unser nächstes Ziel in zirka sechs Tagen. Wie auch im Jahr zuvor war die Besatzung fleißig am Rost klopfen und Malen. Auch die Segelmacher waren wieder mit Ausbesserungs Arbeiten beschäftigt. Ich hatte Wäsche zum Waschen gegeben und war fleißig am Lesen. Aus der bordeigenen Bücherei hatte ich einen Thriller ausgeliehen, aus dem das Blut nur so tropfte. „Das Gift der Engel“ von Mark Terry handelt von synthetisch hergestellten biologischen Kampfmitteln und einer terroristischen Gruppe, die die Welt bedroht. Absolut lesenswert für Leute, die derartige Horrorstories bevorzugen. Wieder wurde die Zeit um eine Stunde vor gestellt, entsprechend müde erwachte ich am Morgen, den Jetlag hatte ich nun hinter mir. Der Wind hatte gedreht, wir segelten nun auf Backbordbug, der Wind Einfallwinkel hatte sich ebenfalls verbessert, er betrug etwa 40° zur Längsschiff Richtung. Zwei interessante Vorträge halfen die Zeit zu verkürzen, beim Nachmittags – Quiz reichte es wieder nicht zum Quizmaster. Am Abend hatte der Wind wieder zugenommen, was wiederum höheren Seegang bedeutete. In der Nacht flog alles mögliche durch meine Kabine und landete auf dem Fußboden. Am Morgen bekam der Schiffsarzt zum ersten Mal richtig Arbeit. Ein Passagier hatte zuvor noch gefrozzelt, der Doktor habe ja keine Arbeit, er würde gleich dafür sorgen. Wenig später erfasste eine Welle das Schiff, welches stark krängte, der Gast, ein Amerikaner flog über das gerichtete Frühstücksbuffet und riss alles zu Boden, dabei krachte er mit der Brust gegen eine Tischkante. Ob er sich eine oder mehrere Rippen und möglicherweise das Brustbein gebrochen hatte, würde eine Röntgenaufnahme in vier Tagen in Punta Delgado ergeben.
Alle Passagiere wurden nochmals darauf hin gewiesen, sich vorsichtig auf dem Schiff zu bewegen und das aus gutem Grund: Überall, wo die Salzwassergischt an Deck spritzte, war es gefährlich rutschig geworden, bedingt durch den höher gewordenen Seegang bockte das Schiff mitunter ganz erheblich. Am Nachmittag gab es einen interessanten Vortrag über Schiffspapiere und Clearing. Am Abend referierte wieder Anthony Paul über das Problem Pakistan, Afghanistan, die Taliban und Al Quaida und die Bedrohung der „Schurkenstaaten“ mit Kernwaffen“ gegenüber der „freien Welt“. Dies naturgemäß aus der Sicht eines amerikanischen Journalisten. Nachts flog in meiner Kabine wieder alles durcheinander, ich lag diagonal in meinem Doppelbett und hatte trotz der Schiffsbewegungen herrlich geschlafen. Am Morgen wagte ich den Gang aufs Vorschiff, der Wind blies nach wie vor nahezu von vorn mit einer Geschwindigkeit von 30 Knoten, sprich 6 – 7 Beaufort. Getränke werden im Plastikbecher serviert, auch die Teller sind fortan aus unzerbrechlichem Material. Dem gestern verunglückten Patienten geht es wieder besser, offenbar hatte er sich nichts gebrochen. Während ich dies schreibe, liege ich in meiner Koje auf dem Rücken, mit der linken Hand halte ich den Laptop, während ich mühselig mit dem Mittelfinger der rechten Hand tippe. So ist es sicherer, als sitzend auf einem wackligen Stuhl. In fünf Minuten ist Lunch – Time, ich freue mich schon auf die leckeren Speisen und auf das Bier aus dem Plastikbecher. Doch, nachdem am späten Nachmittag Wind und Seegang stark nachgelassen hatte, entschied ich mich für Rotwein aus dem Glas, der südafrikanische Merlot aus Frenchoek schmeckte derart gut, dass ich es nicht bei einer Flasche bewenden ließ, was mir anderntags einen gewaltigen Kater einbrachte. Der bordeigenen Zeitung konnte ich entnehmen, dass aufgrund der Wetterverhältnisse der Besuch der Azoren ausfallen wird, um rechtzeitig Lissabon zu erreichen.
Ich hatte wieder ein ungemein interessant geschriebenes Buch aus der Bibliothek entliehen, ein Thriller mit dem Titel „Erbarmen“ des dänischen Erfolgsschriftstellers Jussi Adler Olsen. Der Seegang hatte stark abgenommen, so gönnte ich mir am Morgen ein ausgiebiges Entspannungsbad und fühlte mich danach, wie wir Schwaben sagen, sauwohl. Am Nachmittag ließ der Kapitän bis auf das Besansegel alle Tücher setzen, ich nahm die Gelegenheit wahr, das Schiff zu steuern: Heute Nacht werden wir die Azoren im Abstand von etwa 30 Seemeilen passieren, mal sehen, ob Telefonkontakt und damit Internet Zugang möglich ist.
Fehlanzeige, Das Schiff fuhr keinen „Telefonkurs“, wie vor fünf Jahren „Monteverde“, mit der ich von Le Havre nach Jamaika unterwegs war. Am Morgen war das Wetter noch recht ungemütlich, um sich im Laufe des Tages erheblich zu verbessern, auch die anfangs recht ungemütliche Kälte wich einer recht angenehmen Temperatur. Alle drei Vorsegel, zwei Rahsegel und zwei Stagsegel waren gesetzt und ergab eine Geschwindigkeit von knapp sieben Knoten; und dies ohne Maschine. Langsam geht die Reise ihrem Ende zu, immer wieder gibt es Informationen zur Ausschiffung in Lissabon. Für das „Captains Dinner“ am vorletzten Abend erhielt ich die Einladung, am Tisch von Kapitän Sergej zu sitzen, nun ärgerte ich mich doch, keine elegante Kleidung mitgenommen zu haben, in Lederjacke ohne Krawatte kam ich mir leicht schäbig vor. „Nichts desto trotz“, der Hummer war hervorragend, Champagner und Wein waren beide erlesene Getränke, es war ein gelungenes Fest. Strahlend blauer Himmel begrüßte uns am Morgen, nach dem Frühstück begann ich meinen Koffer zu packen. Wir würden Lissabon am frühen Morgen erreichen und das Anlegemanöver wollte ich mir nicht entgehen lassen. Um fünf Uhr kam der Lotse an Bord, es ging im Rio Tejo flussaufwärts, für die Passagiere waren nunmehr die Arbeitsdecks gesperrt. Im Morgengrauen sollte das Schiff mit der Backbordseite längsseits anlegen und dies bei ablandigem Wind Stärke drei. Es war keine Schlepperhilfe vorgesehen. Extrem langsam anzufahren war nicht möglich, der Wind hätte den Bug weggedrückt, also wurde in die Mittelspring eingefahren, was anfangs ganz gut aussah, doch der Radeffekt machte sich bemerkbar, der Propeller drehte nach der falschen Richtung. Es wurde versucht, dies durch Hartruderlage und mehr Power auszugleichen, da riss die fünfzig Millimeter starke Springleine mit lautem Knall. Mit Bugstrahlruder und Maschine rückwärts wurde das Manöver abgebrochen, ein neuer Versuch wurde gestartet, diesmal mit Langsamfahrt. Zwar hielt diesmal die Springleine, doch wieder verhinderte der Seitenwind und die falsch drehende Schraube den gewünschten Erfolg. Das Kommando des Kapitäns lautete nun: „Alongside Starboard“, das Schiff wurde gedreht, das Anlegen auf Steuerbord gelang nun problemlos, die Schraube drehte diesmal nach der richtigen Seite. Rasch verdrückte ich ein schnelles Frühstück, da fragte mich ein Kanadier, ob ich auch zum Flughafen müsse. Ich bejahte und saß wenig später im Taxi, so konnte ich mich nicht mehr groß verabschieden. Wir teilten uns den Fahrpreis, zwei Stunden später saß ich im Flugzeug nach Frankfurt, das nach erfolgter Landung seine vorgesehene Parkposition nicht verwenden konnte, da diese durch eine Maschine mit technischen Problemen blockiert war. Nach etwa einer Viertelstunde war alles behoben, ich erreichte das Flugzeug nach Stuttgart rechtzeitig. Im Eiltempo ging´s zur S-Bahn und ich saß fünf Minuten vor Abfahrt des ICE im Zug nach Zürich. Zwei Minuten vor Tuttlingen weckte mich das Signal meines iPhone, kurz darauf saß ich im Taxi und war wenig später wieder zuhause. Ein schnelles Bier und eine erfrischende Dusche rundeten der langen Tag ab, eine wunderschöne Reise war zu ende gegangen.