Wie hätte ich reagiert?

Was hättet ihr damals gemacht?
Der Junge schaute mich erwartungsvoll an. Auf die so oft gestellte Frage gab es eigentlich keine vernünftige Antwort, denn, in der Tat, es war alles anders. Es gab keinen Donautalführer, keinen Ranger, keine Kletterverbote.
Wir kannten kein Rotpunkt – Klettern, keine Bohrmaschinen und keine Bühlerhaken. Die Bergwacht begann eben Fuß zu fassen und der erste, der mit einem Auto ins Däle kam, war der Stängles Manne mit seinem VW Käfer Kabrio.
Wer sich über eine Tour informieren wollte, musste fragen, nicht nur, wo der Einstieg war, er wollte auch wissen, wie viel Haken steckten, also wie viel Karabiner mit zu nehmen waren und ob Trittleitern erforderlich waren.
Doch der Junge bohrte weiter:
Wenn du heute noch klettern würdest, wie würdest du auf die Kletterverbote reagieren?
„Ich müsste sie wohl oder übel beachten“, war die schnelle Antwort, schließlich war ich zweiter Vorstand der I.G. Klettern und kommissarischer AKN Sprecher und konnte es mir nicht erlauben, Anregungen für illegales Klettern weiter zu geben.
Der Junge gab auf und war über die Antwort enttäuscht.
Während einer schlaflosen Nacht kam ich ins Grübeln und fragte mich selbst:
‚Hätte ich vor fünfzig Jahren tatsächlich so reagiert, wie ich es neulich einem jungen Sportkletterer als Antwort gegeben hatte?’
Nach längerer Überlegung versuchte ich, mich als Zwanzigjährigen in die heutige Zeit zu versetzen und gab mir selbst die Antwort: ‚Nein, ganz bestimmt nicht’
Wir waren damals ein wilder Haufen und das Wort „normal“ existierte nicht. Ganz systematisch fragte ich mich nun: „Wie hättest du dich verhalten?“
Das allerwichtigste ist, sich erst gar nicht erwischen lassen. Dazu gehört ganz wichtig, Unauffälligkeit. Das beginnt mit der Kleidung. Ich würde mir Klamotten in der Farbe der Felsen zulegen und auch jegliche bunten Muster vermeiden, selbst wenn es gerade „in“ sein sollte. Dann würde ich um den Ranger einen Riesen Bogen machen, damit er sich im Ernstfall nicht an mein Gesicht erinnern würde. Im Rucksack würde ich „Zivilklamotten“ mitnehmen, um mir gegebenenfalls schnell ein anderes Outfit zulegen zu können.
Auto / Motorrad würde ich keinesfalls in der Nähe der beabsichtigen Tour abstellen, die Anfahrt per Mountain Bike würde sich da anbieten.
Für den Ernstfall würde ich mit meinem Seilpartner die „Pseudonym Daten“ austauschen, meinen Wohnort würde ich weit weg vom Donautal wählen, nachdem ich Schwyzerdütsch spreche, würde ich als Heimadresse Winterthur wählen.
Doch diesen Ernstfall sollte man tunlichst vermeiden, also wegrennen.
Sollte nun tatsächlich zum direkten Kontakt kommen: Lügen.
Ohne Kletterführer kann ein Nicht – Einheimischer behaupten, er habe sich im Felsen, oder in der Tour geirrt. Hier zahlt es sich dann aus, wenn man zum Ranger immer genügend Abstand gehalten hat. Die Frage nach einem Ausweis beantwortet man mit der Standard – Antwort:
Der ist im Zelt.
Sollte der Ranger weiter bohren: Das Zelt steht auf dem Campingplatz in Überlingen.
Mit neunzig prozentiger Sicherheit wäre ich nun auf der sicheren Seite.
Nun müsste ich mir allerdings darüber im Klaren sein, dass sich das ein zweites Mal nicht wiederholen lässt. Also was nun?
Wenn ich weiterhin Bock auf illegale Touren hätte, bliebe nur das Klettern bei Nacht.
Eine sternenklare Vollmondnacht bietet genug Licht für Touren nahezu aller Schwierigkeiten.
Und sollten sie mich trotz aller Vorsicht tatsächlich erwischen und es käme zur Anzeige?
Ich würde versuchen, mit Hilfe einschlägiger Kletterverbände, einen Musterprozess zu führen um vielleicht feststellen zu lassen, dass die betreffende illegal bekletterte Tour möglicherweise gar nicht hätte gesperrt werden dürfen. Die Chancen, hier zu obsiegen, liegen zwar nahe bei null, versuchen würde ich es auf jeden Fall.